BRÄNDLES BALLBERICHT


 

Die wilden Bubenkicker des FC Neu St. Johann der 1930er Jahre

 

Fabian Brändle

 

Das Obertoggenburg in der Ostschweiz ist eine stotzige Gegend, und der Talgrund ist schmal. Es ist also schwierig, ausreichend flaches Land für einen Fussballplatz mit Originalmassen auszumessen. Noch heutzutage gibt es von Wildhaus bis hinab nach Krummenau keinen Fussballclub, der an einer offiziellen Liga des nationalen Fussballverbandes teilnehmen kann. Auch der „FC Thurbord“ Alt St. Johann spielt auf einem kleineren Feld als vom Fussballverband eingefordert und ist von daher vor allem an „Grümpelturnieren“, also Dorfturnieren mit Kirmescharakter, präsent.

Nach dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) erlebte der Fussball in der Schweiz einen eigentlichen Boom. Viele junge Soldaten und Offiziere hatten während des „Aktivdienstes“ zum ersten Mal gekickt. Im Jahre 1924 erreichte zudem die schweizerische Nationalmannschaft sensationellerweise das Finale der Olympischen Spiele von Paris – und verlor gegen den haushohen Favoriten Uruguay um Regisseur Andrade, damals die beste Mannschaft der Welt, mit 0-3. Die positiven Resultate der helvetischen Amateure bis hin zum Finale euphorisierten die schweizerische Bevölkerung. Auch die Presse, sogar die noble „Neue Zürcher Zeitung“ NZZ, zog mit und berichtete erstmalig detailliert. Fussball hatte noch immer einen schlechten Ruf bei den bürgerlichen Eliten, galt er doch als „proletarisch“, ja „proletenhaft“, also neumodischer, aus England importierter Sport für den „Pöbel“.

Die Buben – Mädchen waren vom Fussball noch weitestgehend ausgeschlossen – landauf, landab wollten der neuen Entwicklung rund um die erstarkende Fussballbewegung nicht nachstehen und imitierten ihre Idole, sei es in Winterthur, sei es in St. Gallen. Doch konnten sich nicht sämtliche Knaben einem organisierten Verein anschliessen. Das war teuer, genauso wie die Ausrüstung mit Lederball und Lederschuhen. So spielten die Buben auf Strassen und in Hinterhöfen.

Fussball wurde noch populärer, als im Jahre 1931 der Profifussball eingeführt wurde und Stars wie „Trello“ Abegglen, sein Bruder „Xam“ Abegglen, „Fredy“ Bickel, Lajo Amado oder der eisenharte, italienischstämmige Verteidiger Severino Minelli die Zuschauerinnen und Zuschauer entzückten.

Im Toggenburg war es bereits in den Jahren um 1900 zu ersten Vereinsgründungen in den grösseren Arbeiter-Dörfern wie Wattwil oder Ebnat-Kappel gekommen. Doch verfügten auch hier die Arbeiter- und Bauernkinder kaum über die nötigen Ressourcen, um einen Lederball oder ein Paar Ledernockenschuhe anzuschaffen. Aber es resignierten die Toggenburger Kinder ebenso wenig wie ihre Alterskollegen aus den weiter entfernten Grossstädten. Fussball war den Toggenburger Kindern ein „Tor zur Welt“, um es in einer Formulierung des deutschen Soziologen Klaus Theweleit auszudrücken. Über die weltweite Fussballbewegung weiteten sie ihren Horizont, verbanden sie sich mit anderen Regionen, Ländern, ja Kontinenten. Manch ein Schüler wird in seinem Schulatlas nachgeschaut haben, wo genau sich denn nun dieses verflixte Uruguay befände.

Willi Eppenberger, der im Jahre 1929 in Neu St- Johann geborene spätere Tierarzt und höhere Offizier sowie Ehemann der prominenten bürgerlichen Nationalrätin Susi Eppenbergr-Egger (FDP), war sportbegeistert und verfolgte wie seine Freunde die von den deutschen Nationalsozialisten geschickt inszenierten Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin intensiv. So gross war die allgemeine Begeisterung, dass die Obertoggenburger Jugendlichen in einer gewissen kreativen Nachahmung den „Jugendsportclub Olympia“ gründeten. Im Winter fuhren sie in erster Linie Ski und übten auf der selbstgebauten Schanze, im Sommer war dann Fussball angesagt, der in der Zwischenkriegszeit zum Profi- und Zuschauersport Nummer eins avanciert war, gefördert auch durch Presse und Radio. 

Besonders talentierte Kicker waren Willi Eppenberger und seine Neu St. Johanner Sportsfreunde jedoch nicht. So ging ein Match gegen das grössere Nachbardorf Ebnat-Kappel sogar zweistellig verloren. Schon im Vorfeld hatten den tapferen Neu St. Johannern wegen des übermächtigen Gegners die Knie geschlottert.

In der Folge verzichtete der solchermassen schwer gedemütigte FC Neu St. Johann verständlicherweise auf dermassen riskante Partien gegen auswärtige Mannschaften.

 


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