BRÄNDLES BALLBERICHT


 

Sternstunde der Wasserträger, Sternstunden des Fussballs

 

Fabian Brändle

 

Der schweizerische Cupfinal (=Pokalfinale) wurde traditionell am Pfingstmontag im zur Endrunde der WM 1954 erbauten altehrwürdigen Berner Wankdorf ausgetragen. Im Jahre 1985 standen sich Favorit Xamax Neuenburg, trainiert von Zampano Gilbert Gress, und der kleine „FC Wunder“ FC Aarau, Trainer der damals noch junge Othmar Hitzfeld, gegenüber. Der FCA war mehr oder weniger ein Team der Namenlosen: Aus dem Kollektiv, das unter Hitzfeld als erstes Team der Schweiz die Raumdeckung eingeführt hatte, stachen Torwart Roberto Böckli, Libero Rolf Osterwalder und der deutsche Stürmer „Charly“ Herberth heraus. Im defensiven Mittelfeld wirkte eher unauffällig der kampfstarke, grundsolide, loyale Walter Iselin, der eigentlich niemals Tore schoss. Aber das war auch nicht seine Aufgabe.

Der FC Aarau lauerte auf schnelle Konter, hielt bis in die zweite Halbzeit hinein ein 0-0 Unentschieden. Da fand Walter Iselin plötzlich etwas Platz gegen vorne vor. Der laufstarke Wasserträger lief einige Meter mit dem Ball am Fuss und zog dann aus rund 30 Metern aus vollem Lauf ab. Der ungemein scharfe Schuss landete unhaltbar für Xamaxgoalie Karl Engel, der noch verzweifelt hechtete, im Lattenkreuz.

Was für ein Tor, das Tor des Jahres, und das am Cupfinal. Ich kann mich kaum an ein schöneres Tor aus dieser Zeit erinnern. Der Treffer ist auf „youtube“ abrufbar. Der FC Aarau liess sich nicht mehr bezwingen und wurde Pokalsieger, dank des genialen Tores der grauen Maus Walter Iselin, der sich in späteren Jahren auch mehr oder weniger erfolglos als Trainer versuchte.

Ebenso im Schatten anderer, glamouröserer Spieler stand der Bayer Hans-Georg „Katsche“ Schwarzenbeck. Er war als solider Vorstopper der Adjutant des Kaisers Franz Beckenbauer, ein effizienter Manndecker, der wenige Fehler beging und auch in der deutschen Nationalmannschaft seinen Mann stellte. Wie der Aarauer Walter Iselin erlebte auch „Katsche“ Schwarzenbeck seine Sternstunde. Das war im Mai 1974, im ersten Finalspiel des Europapokals der Meister Bayern München gegen Atletico Madrid, das in die Verlängerung musste, in der die Madrilenen in Führung gingen. In der 120. Minute fasste sich Schwarzenbeck aus rund 25 Metern ein Herz … und traf haargenau in die linke Torecke. Nicht Gerd Müller, Uli Hoeneß oder „Kaiser“ Franz Beckenbauer hatten getroffen, es war der unauffällige Wasserträger „Katsche“ Schwarzenbeck. Die Bayern retteten sich ins Widerholungsspiel, wo sie dann mit 4-1 souverän siegten. Schwarzenbeck wurde im selben Jahr auch noch Weltmeister.

Messi, CR/7und andere mögen Dutzende schöner Tore erzielen, Mannschaftsspieler sind sie kaum. Die Wasserträger der Superstars hingegen, die stets im Schatten ihrer berühmteren Mitspieler stehen, verrichten ihre Arbeit, effizient in der Regel, aber von den Medien und von den Fans kaum beachtet. Manchmal treten sie aus diesem Schatten heraus.

Aus dem Schatten des mannschaftsdienlichen Wasserträgerdaseins trat auch einmal der kleingewachsene Zürcher Aussenverteidiger mit spanischen Wurzeln, David Pallas, als er im Berner Stadion Neufeld mit seiner schmucken Holztribüne – der altehrwürdige Wankdorf wurde gerade abgerissen, das moderne „Stade de Suisse“ war im Bau – aus mehr als 30 Metern mit ein wenig Aussenrist abzog und den Ball vorbei am Torhüter unter die Latte hämmerte. Es ist das einzige Tor von David Pallas, an das ich mich erinnere, ein wahrer Tauendguldenschuss, wie die Österreicher sagen. Das durchaus bedeutsame Spiel der „Super League“ zwischen Young Boys Bern und dem FC Zürich endete unentschieden, eins zu eins, der Wasserträger hatte seinem Team einen wichtigen Punkt im Kampf um die Europaleaguequalifikation eingebracht. Später wechselte David Pallas in die Zweite Bundesliga zu Marcel Kollers VfL Bochum und trug das Seinige zum Aufstieg bei, ehe er beim FC Thun seine Karriere ausklingen liess. Heute arbeitet der ehemalige Aussenverteidiger Pallas als Bankangestellter in Zürich.

 

Auch Sie kennen ein solches Beispiel aus Ihrer Vereinsgeschichte. Man mag es den Wasserträgern unendlich gönnen.

 


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